Category: Programme - Tags: - 2017.09.28

Kurt Tucholsky – Es war alles ganz anders

28. September 2017 - 01. Oktober 2017

„Noch immer wird Tucholsky gelesen. Aber wird er noch gelesen als politischer Publizist? Oder vielmehr als unsterblicher Humorist und Satiriker? Scheiden sich an ihm noch immer die Geister?“ fragt Susanna Böhme-Kuby in ihrem Essay „Die Nachgeborenen und Tucholsky“.

Wie immer es auch sei: Tucholskys politische Aussagen sind heute nicht weniger erhellend als zu seiner Zeit.

Wir laden ein, gemeinsam mit Susanna Böhme-Kuby Tucholsky zu lesen und über das Gelesene ins Gespräch zu kommen.

Kurt Tucholsky (1890 – 1935) picture-alliance / Sven Simon

Kurt Tucholsky, am 9. Januar 1890 in Berlin geboren, war einer der bedeutendsten Dichter, Schriftsteller und Publizisten der Weimarer Republik. Unter den Pseudonymen Peter Panter, Theobald Tiger, Ignaz Wrobel, Kaspar Hauser und unter seinem eigenen Namen schrieb er zehn Bücher und verfasste mehr als dreitausend Texte. Als radikaler Pazifist und prophetischer Warner vor dem militanten deutschen Nationalismus drängte es ihn früh, sich gegen jede Form von Unterdrückung einzusetzen. „Darin fand wahrscheinlich auch seine jüdische Herkunft ihren Niederschlag, mit der er sich ja aus vielerlei Gründen nicht identifizieren mochte, deren ethisch-humanitäres Erbe aber in ihm vorhanden und traditionsgemäß besonders anspruchsvoll war“, schreibt Susanna Böhme-Kuby. Als politisch engagierter Journalist und zeitweiliger Mitherausgeber der Wochenzeitschrift „Die Weltbühne“, die er gemeinsam mit Siegfried Jacobsohn und nach dessen Tod mit dem späteren Friedensnobelpreisträger Carl von Ossietzky zu einem der wirksamsten publizistischen Instrumente der Weimarer Republik machte, erwies er sich als Gesellschaftskritiker in der Tradition Heinrich Heines.

„Kurt Tucholsky“, so Joseph Halperin 1936, „repräsentierte das, was er hatte: Geist. Er hatte noch mehr, er hatte Mut. … Sein Witz war aus Schmerz, seine Respektlosigkeit aus Verzweiflung geboren.“ Nach dem Ersten Weltkrieg rechnete er in einer Serie von Artikeln mit dem deutschen Militarismus ab. Zum ersten Mal wagte jemand zu sagen: „Soldaten sind für einen Dreck gefallen…“. In jeder Ausgabe der „Weltbühne“ waren mehrere Artikel Tucholskys und seiner Alter Egos zu lesen: Polemiken, Buchkritiken, Gedichte, Humoresken und Betrachtungen; in den Berliner Kabaretts wurden seine Couplets gesungen. „Ich kenne kaum einen anderen Schriftsteller“, schrieb Thomas von Vegesack 1994, „der sich … so konsequent geweigert hat, sich den Ideologien seiner Zeit unterzuordnen.“

….alias Theobald Tiger

Nach der Weltkriegs-Erfahrung war Tucholsky, so Susanna Böhme-Kuby, auch zu einem frühen Anhänger der Idee einer europäischen Einigung geworden – zur Garantie einer künftigen friedlichen Entwicklung, die ihm weder durch die Stresemannsche Außenpolitik und noch durch den „Geist von Locarno“ Mitte der zwanziger Jahre gesichert schien: „Wir gehen nicht den Weg des Friedens. Es ist nicht wahr, dass freundliche Gespräche am Genfer See den Urgrund künftiger Kriege aus dem Wege räumen werden: die freie Wirtschaft, die Zollgrenzen und die absolute Souveränität des Staates.“ Folglich war er äußerst skeptisch gegenüber einer europäischen Lösung, sollte sie nicht vom Geist des Internationalismus inspiriert sein bzw. nicht auf dessen gesellschaftlich-ökonomischer Grundlage stattfinden: „Diesen latenten Kriegszustand bekämpft man … indem man die Verursacher und die Ursachen dieser Wirtschaftsordnung beseitigt. Diese Wirtschaftsordnung kann keinen Frieden halten, weil sie den Krieg zum Leben braucht, wie ihn die alten Dynastien gebraucht haben.“ Mit seinem Artikel „Der bewachte Kriegsschauplatz“, den er als Ignaz Wrobel am 4.8.1931 in der Weltbühne veröffentlichte, sorgte er für Aufsehen: Der Satz: „Soldaten sind Mörder“ führte zu einer Anzeige der Reichswehrführung und zu einem Prozess gegen Carl von Ossietzky, unter dessen Herausgeberschaft der Artikel erschienen war. Auch in der Geschichte der BRD war jener Satz „Soldaten sind Mörder“ Anlass für diverse Gerichtsverfahren bis hin zur höchsten Instanz des Bundesverfassungsgerichts, das zuletzt 1995 „im Sinn einer verfassungskonformen Zulässigkeit der Zitatverwendung“ entschied.

Kurt Tucholsky

Seinem Vorbild Heinrich Heine folgend verbrachte Tucholsky ab 1924 die meiste Zeit im Ausland, vor allem im Frankreich: „Er hatte sich der Versöhnung zwischen Deutschen und Franzosen verschrieben.“ Er arbeitete und schrieb unentwegt, unternahm Lesereisen. 1930 emigrierte er nach Schweden. Im Mai 1931 erschien sein Buch „Schloß Gripsholm“ – neben dem bereits 1912 verfassten „Rheinsberg“ ein weiterer Bestseller.

Tucholskys Gesinnung, seine Moral, seine Idealvorstellung vom Menschen, seine Verletzlichkeit und seine Hellsicht, so Susanna Böhme-Kuby, trennten ihn schließlich vom eigenen Volk. Unter den Verächtern und Gegnern des Nationalsozialismus gehört er zu den ganz wenigen, ist unter diesen der bekannteste geblieben, die die Taue zu „den Deutschen“ durchschnitten und die Konsequenz daraus gezogen haben: Schweigen, abtreten! „Er schwieg die letzten drei Jahre seines Lebens. Diese letzten Jahre waren ein einziger Lösungsprozess von allem, was sein Leben bisher bestimmt hatte“, schrieb Fritz J. Raddatz. „Von Deutschland vor allem.“ Im Dezember 1935 schied Tucholsky vereinsamt und verzweifelt in der schwedischen Emigration aus dem Leben.

Beispiellos war jedoch nach 1945 in beiden deutschen Nachkriegsstaaten die Renaissance Tucholskys. Ihr folgte nach der Wende von 1989 die Demontage, ebenfalls auf beiden Seiten, was wohl das Bedürfnis dokumentiert, „das erneuerte Vaterland wieder gegen seine Nestbeschmutzer, auch gegen diesen, in Schutz zu nehmen“.

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Susanna Böhme-Kuby

Susanna Böhme-Kuby

Literaturwissenschaftlerin, Autorin und Publizistin. Dissertation an der Universität Pisa über die Rezeption Brechts in Italien 1923–1973. Lehrte Deutsche Literatur an den Universitäten von Udine und Venedig; Buchveröffentlichungen u. a. zur Pressegeschichte (Das Neueste aus Paris. Deutsche Presseberichte 1789-1795, Knesebeck & Schuler, München 1989), Kurt Tucholsky (Non più, non ancora. Kurt Tucholsky e la Repubblica di Weimar, Il melangolo, Genova, 2002), Mitarbeit an Zeitschriften in Italien (L’Indice) und Deutschland (Blätter für deutsche und internationale Politik, Ossietzky).

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in deutsch und italienisch
max. 8 Teilnehmer
Unkostenbeitrag 300 €

Weitere Informationen per info@villa-le-guadalupe.com