Wolfgang Storch Totentanz und Rosenfest
Der 18. Juni 1675 und der 6. November 1730 „Mit diesen beiden Tagen“, schrieb Theodor Fontane in seinem Bericht über Küstrin, „dem heiteren 18. Juni und dem finsteren 6. November, beginnt unsere Großgeschichte. Aber der 6. November ist der größere Tag, denn er veranschaulicht in erschütternder Weise jene moralische Kraft, aus der dieses Land, dieses gleich sehr zu hassende und zu liebende Preußen, erwuchs.“ Der 18. Juni 1675 – nach dem Julianischen Kalender damals, der 28. Juni nach dem Gregorianischen –: der Tag der Schlacht bei Fehrbellin, der Sieg des Kurfürsten Friedrich Wilhelm über die in die Mark Brandenburg eingefallene schwedische Armee, den er wesentlich dem Einsatz des Prinzen Friedrich von Hessen-Homburg zu verdanken hatte. Der 6. November 1730: der Tag, an dem Hans Hermann von Katte enthauptet wurde, da er Kenntnis hatte vom Fluchtplan des Kronprinzen Friedrich. „Der heitere 18. Juni“ – über die Eröffnung der Schlacht schrieb der die Avantgarde befehligende Prinz Friedrich von Hessen-Homburg am nächsten Morgen seiner Frau: „So balten ich des Churfürsten ankunft versichert war, war mir bang, ich möchte wider andere ordre bekommen, und fing ein hartes treffen mit meinen Vortruppen an, da mir denn Dörffling soforth mit einihen Regimentern secontirte. Da ging es recht lustig eine stundte 4 oder 5 zu, bis entlichen nach langem Gefechte die Feindte weichen musten … Nachdeme alles nun vorbey gewesen, haben wir auff der Walstett, da mehr als 1 000 Todten umb uns lagen, gessen und uns braff lustig gemacht.“ Fontane verwies auf diesen damals, 1862, als er über die Grafschaft Ruppin schrieb, gerade bekannt gewordenen Brief, „weil er die älteren Berichte über diese Schlacht, wie sie sich im Teatrum Europaeum, im Pufendorf usw. finden, bestätigt und die erst um die Mitte des vorigen Jahrhunderts auftretende Sage von Insubordination, kurfürstlichem Zorn und Kriegsgericht aufs evidenteste widerlegt.“ Die „Sage von Insubordination“ – den Angriff des Prinzen mit seiner Avantgarde wider den Befehl – hatte Friedrich II. selbst mit seinen Mémoires pour servir à l’histoire de la maison de Brandenbourg in die Welt gesetzt. Warum gründete er den Sieg, der den Aufstieg des Kurfürstentums zur europäischen Macht einleitete, auf Insubordination? Insubordination traf den Nerv dieses nach militärischem Reglement durchorganisierten Staatswesens. Wenn es denn eine Insubordination gewesen wäre, so eine, die sich nicht verweigert, sondern sich über die Befehle hinwegsetzt. – im Sinne der Befehle, um angesichts der eingetretenen Situation den Befehl zu modifizieren. Mit der Geistesgegenwart und Spontaneität, mit der Friedrich II., der sich gegenüber niemandem, keinem Kabinett, keinem über ihm, verantworten mußte, seine Schlachten führte. Mobilität seine erste Waffe. Zeigt sich in der Konstruktion dieser „Sage“ nicht das Dilemma zwischen der Vorgabe des Schlachtplans, dessen strikter Befolgung, und der Notwendigkeit, angesichts der Unberechenbarkeit der Entscheidungen des Feindes, der eingetretenen Situationen unmittelbar handeln zu müssen – auch ohne Befehl? So ließe sich die „Sage“ lesen als Aufforderung zum unbedingten, die Insubordination in Kauf nehmenden Einsatz. Vorbehaltlich der Entscheidung des Fürsten, das Kriegsgericht einzuberufen. Wollte Friedrich II. sich selbst in der Gestalt Friedrich Wilhelms, seines großen Vorbildes, zeigen, als er...