Category: News - 2022.06.05

Heiner Müller . Hamletmaschine

Workshop des Goethe-Instituts Sofia, Bulgarien,
in Kooperation mit VIAFest Sofia und der Internationalen Heiner Müller Gesellschaft
vom 16.- 20. Juni 2022

Kuratiert von Klaudia Ruschkowski

Mein Drama, wenn es noch stattfinden würde, fände in der Zeit des Aufstandes statt. Der Aufstand beginnt als Spaziergang. […] Mein Platz, wenn mein Drama noch stattfinden würde, wäre auf beiden Seiten der Front, zwischen den Fronten, darüber. […]
HAMLETMASCHINE, Heiner Müller

Heiner Müller (c) Lothar Deus

Den Sommer 1977 verbrachte Heiner Müller in Sofia und schrieb Die Hamletmaschine. Er kondensierte das Material, das er im Laufe seiner jahrelangen Auseinandersetzung mit Shakespeare und parallel zu seiner Übersetzung von Hamlet für Benno Bessons Inszenierung an der Volksbühne in Ostberlin gesammelt hatte. Was entstand, war ein kurzer Text in fünf – an die klassische Dramenstruktur angelehnten – Szenen beziehungsweise Bildern, jedoch fremd und rätselhaft, der die gewohnte Form des realistischen Theaterstücks zerlegt. Shakespeares Figuren und Schlüsselszenen sind mit historischen Ereignissen (Geschichte als „dramatische Substanz“) und literarischen Zitaten („ein Code, den das Theater zu lesen hat“) verflochten. Auf Handlung und Dialog wird nahezu verzichtet. „Müllers Verwendung des Hamletvorgangs“, so Theo Girshausen, „ist zugleich dessen Demontage.“
Die Hamletmaschine stellt die Möglichkeiten einer Theatersituation, Wirklichkeit abzubilden, radikal in Frage. Ihr Ausgangspunkt ist das Traumatische eines Geschehens, in dem sich „objektiver Verlauf“ und „subjektive Reaktion“ vermischen, in dem Spiel und Realität verschwimmen.
Heiner Müllers Auseinandersetzung mit der Hamlet-Figur begann Anfang der 1960er Jahre, was sich in einem Teil seiner Manuskripte, dem sogenannten „Bulgarian Notebook“, am Entwurf des Projekts „HiB – Hamlet in Budapest (Berlin)“ (zurück)verfolgen lässt. Der Ungarnaufstand 1956 und seine Niederschlagung – nach dem 17. Juni 1953 in der DDR ein weiterer radikaler Schauplatz der politischen Situation in Osteuropa – stellten auch die drängende Frage nach den eigenen Möglichkeiten, nach dem Verhältnis des „reflektierenden Ich“ zur Realität. Von dem Moment an wurde die Hamlet-Figur für Heiner Müller zu einem Instrument der Reflexion über politische Konstellationen und persönliches Wirken, über den Umgang mit (eigenen) Grenzen, den Einsatz von Gewalt.
1975/76 reiste Heiner Müller gemeinsam mit Ginka Tscholakowa für neun Monate in die Vereinigten Staaten: „Meine Grunderfahrung in den USA war die Landschaft, zum ersten Mal in meinem Leben hatte ich ein Gefühl für Landschaft, für den Raum.” Landschaft als eine „Quantität“, die zur „politischen Qualität“ wird. Nur durch diese Reise, diese Erfahrung, sagte er später, habe er Die Hamletmaschine schreiben können. Einen Text, den er selbst als die „totale Negation“ bezeichnete.
Fünf Szenen / Bilder als „kalkulierte Albträume“. Eine zyklische Struktur – sie beginnt und endet mit einer Stimme, die jeweils aus einer Szene massiver Zerstörung spricht.
In fünf Gruppen, den fünf Szenen entsprechend, arbeiten die Teilnehmer des Workshops – vor allem Studenten und professionelle Schauspieler wie Regisseure, aber auch Bühnen- und Kostümbildner, Theaterwissenschaftler und Dramaturgen – an Heiner Müllers Text.
In Szene eins, „Familienalbum“, steht der Hamlet-Darsteller, der seine Rolle negiert, indem er als erstes von sich sagt, dass er Hamlet „war“, wie eine Umkehrung von Walter Benjamins „Engel der Geschichte“ an der Küste, den Blick ins Nichts, „im Rücken die Ruinen von Europa“. In dieser Szene lässt Heiner Müller die gesamte Hamlet-Familie auftreten. Auch das Gespenst ist da. Das Hamlet-Motiv funktioniert hier, wie Theo Girshausen zeigt, auch psychoanalytisch: „Hamlet kämpft mit der Verarbeitung seiner gestörten Haltung zur Realität, unmittelbar als Problem seines Verhältnisses zu Vater und Mutter … zu Ophelia und Horatio / Polonius.“
Bild zwei, „Das Europa der Frau“, greift weit über das Theater hinaus in den Raum der Geschichte. Im Zentrum Ophelia. Sie, die Frau, repräsentiert die Unterdrückten dieser Welt, in extremer Subjektivität.
„Scherzo“, Teil drei, ein Zwischenspiel, eine Groteske. Wie will die „Universität der Toten“ die Realität erklären, wie die Geschichte, wenn sie mit papiernen Theorien um sich wirft.
„Pest in Buda Schlacht um Grönland“ baut auf historisch datierbaren Geschehen, um dann zur Theatersituation zurückzukehren. Die jedoch nicht einmal ansatzweise an die Wirklichkeit herankommt.
Szene fünf, überschrieben mit dem Hölderlin-Zitat „Wildharrend / in der furchtbaren Rüstung“, dem Heiner Müller noch das Wort „Jahrtausende“ hinzusetzte, ist „tiefgreifend widersprüchlich“. Revolte, Aufstand, Anklage, die Forderung an die Geschichte in Gestalt Ophelias, spiegelt in ihrer ausgestellten Gewalt nichts als die Gebrochenheit der „Botschaft“ wieder.

Wie geht man an einen solchen Text heran? Dies gilt es zu erproben. Beispiele sehr unterschiedlicher Natur geben die Inszenierung von Dimiter Gotscheff 2007 am Deutschen Theater Berlin, wo Heiner Müller 1989/90 selbst den Abend „Hamlet/Maschine“ inszeniert hatte, während der Zeit, als die Berliner Mauer fiel, und Robert Wilsons Inszenierung 1986 am Hamburger Thalia Theater, die das Material in eine rigorose ästhetische Parallelwelt transformierte.
Erfahrungen mit verschiedenen Workshops zu Stücken und Texten von Heiner Müller haben gezeigt, welche Freiheit es im Umgang mit diesem Material geben kann, wenn die Arbeit nicht zwingend zu einem „fertigen Ergebnis“ führen muss, sondern in einer offenen Präsentation dessen endet, was in einem überschaubaren Zeitraum ausprobiert wurde. Worin der Workshop Heiner Müllers erklärtem Ziel folgt, dass es im Theater nicht um Ausformulieren und Verstehen geht, sondern darum, etwas zu erfahren.

Klaudia Ruschkowski
Mai 2022